Als einer der Protagonisten des zeitgenössischen italienischen Theaters schreibt Alessandro Serra den Mythos des Ödipus für das heutige Publikum neu und verwandelt den antiken Text in eine Brücke zu einem höheren und kollektiven Wissen. Der blinde und verbannt König von Theben, hier gespielt von Jared McNeill – einem US-amerikanischen Schauspieler, der jahrelang an der Seite von Maestro Peter Brook stand –, wird zum Symbol für die heutige Situation der Menschheit.
Wie kann man heute die ursprüngliche Kraft des Mythos wiedergeben, ohne ihn auf eine einfache Erzählung zu reduzieren? In diesem Werk untersucht Serra die Möglichkeit, „das Tragische zu vollenden” in der Gegenwart, indem er nicht nur den Sinn, sondern auch die Sprache der Tragödie selbst hinterfragt. Das hohe und musikalische Griechisch von Sophokles transzendiert die Realität und führt zu einer tieferen Form der Erkenntnis.
Um diese Kraft wieder zu aktivieren, wählt Serra das Grekanisch, eine alte Restsprache, die noch in einem abgelegenen Winkel der Magna Graecia überlebt hat. Eine Sprache, die aus Klangschichten besteht, durchzogen von Dialekten und Erinnerungen, die ohne zu erklären evozieren kann, die nicht nur rationale, sondern auch viszerale Saiten zum Klingen bringt.
In einem zum Scheitern verurteilten, trockenen, unfruchtbaren und verfallenden Theben führt Sophokles den Zuschauer zu einem inneren Licht, das sich in Kolonos, dem heiligen Wald, manifestiert, wo Ödipus buchstäblich von den Göttern verschlungen wird.
Mit Tragùdia erhebt sich der Gesang des Ödipus über den Trümmern der klassischen Tragödie, um die Ruinen der heutigen Gesellschaft zu erkunden und auf der Suche nach einem verlorenen kollektiven Wissen die Stimme der Polis und des Rituals wiederzuentdecken.