Ferdinand Hodler
– Filippo Franzoni
Eine Künstlerfreundschaft
13.04 – 10.8.2025
Kuratiert von
Cristina Sonderegger
Einführung
Ferdinand Hodler (1853–1918) und Filippo Franzoni (1857–1911) waren, jeder auf seine Weise, wichtige Akteure der Entwicklung der modernen Kunst in der Schweiz an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Während die zentrale Rolle Hodlers sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene seit langem anerkannt ist, wird der Name Franzoni in der Schweizer Geschichtsschreibung nach dem Ersten Weltkrieg ausserhalb des Kantons Tessin im Allgemeinen kaum oder gar nicht erwähnt.
Die beiden Künstler unterscheiden sich zweifellos in Bezug auf ihre soziale Herkunft, ihren Werdegang und die Rezeption ihrer Werke; ihr künstlerischer Werdegang vollzog sich in unterschiedlichen kulturellen Kontexten, und auch ihre künstlerischen Ansätze und Ergebnisse waren verschieden. Dennoch lassen sich in ihren Werken überraschende Gemeinsamkeiten erkennen.
Am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert, einer entscheidenden Phase in der Schweizer Kunstgeschichte, in der das Land von der Entwicklung seiner kulturellen Institutionen und seines Kunstsystems im Allgemeinen zu profitieren begann, kreuzten sich ihre beruflichen und persönlichen Wege mehrmals. Beide waren Protagonisten des ersten wirklichen kulturellen Austauschs zwischen den verschiedenen Sprachregionen des Landes und trugen dazu bei, deren Besonderheiten und die Möglichkeiten, die die Zugehörigkeit zu derselben Nation auch im künstlerischen Bereich zu bieten begann, zu erkennen.
Beide haben sich als hervorragende Interpreten der Landschaft hervorgetan und die Wahrnehmung der von ihnen gemalten Regionen beeinflusst: der Genfersee und die Schweizer Alpen im Fall von Hodler, der Lago Maggiore und die Umgebung von Locarno im Fall von Franzoni.
Die Ausstellung im MASI geht von diesen Überlegungen aus und profitiert von dem glücklichen Umstand, dass sich unter den Werken Hodlers eine Reihe von Landschaftsbildern befindet, die dieser in Locarno gemalt hat, an den Orten, die Franzoni besonders am Herzen lagen. So entstand die Idee einer dialogischen Gegenüberstellung, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Schaffen der beiden Künstler aufzeigen soll.
Die Auswahl der Gemälde Hodlers aus seinem immensen Gesamtwerk erfolgte mit dem Ziel, einen aufschlussreichen Dialog mit den Bildern Franzonis zu schaffen, dessen Œuvre wesentlich kleiner ist. Das Ensemble ermöglicht eine aussagekräftige Darstellung des künstlerischen Schaffens beider Maler. Ähnliche Ansätze lassen sich in der Wahl bestimmter Motive, in der Art des Zusammenspiels der einzelnen Elemente und in der Organisation des Bildraums erkennen. Gleichzeitig werden unterschiedliche Tendenzen sichtbar, wie Hodlers Streben nach Monumentalität und Objektivierung des Wirklichkeitsbezugs und Franzonis Bedürfnis, die subjektive und emotionale Dimension der Beziehung zwischen Mensch und Natur durchscheinen zu lassen.
1
Mailand/Genf
Nach einer ersten Ausbildung beim Vedutenmaler Ferdinand Sommer begibt sich Hodler nach Genf, wo er die Erlaubnis erhält, im Musée Rath Gemälde zu kopieren. Er beschäftig sich insbesondere mit der Malerei von Alexander Calame und François Diday, zwei Protagonisten der Alpenmalerei in der Schweiz, die in Genf Schule gemacht haben. Als ihn Barthélemy Menn entdeckt, schreibt er sich nach dieser ersten Erfahrung an den Écoles de Dessin ein. Filippo Franzoni absolviert die klassische Ausbildung der Tessiner Künstler an der Akademie der bildenden Künste in Mailand, wo er Schüler von Giuseppe Bertini ist. Seine ersten Arbeiten zeugen von der Auseinandersetzung mit der von Emilio Gola inspirierten Genremalerei und der perspektivischen Malerei, die von Luigi Bisi gelehrt wurde. Die Figur fügt sich in die ländliche Landschaft von Locarno oder das städtische Gefüge von Mailand ein.
Ferdinand Hodler
Der Wasserfall «Pissevache» (Kopie nach François Diday)
Um 1872
Ferdinand Hodler
Gewitter bei der Handeck (Kopie nach Alexandre Calame)
Um 1872
Ferdinand Hodler beendet 1870 seine erste Ausbildung bei dem Vedutenmaler Ferdinand Sommer. Zwei Jahre später lässt er sich in Genf nieder, wo er die Erlaubnis erhält, im Musée Rath Gemälde zu kopieren. Er lernt Barthélemy Menn kennen und wird dessen Schüler an den Écoles de Dessin.
Der Wasserfall «Pissevache» und Gewitter bei der Handeck sind Beispiele für Kopien, die im Musée Rath entstanden. Das erste Werk stammt von François Diday, das zweite von Alexandre Calame, zwei herausragenden Vertretern der Genfer Schule der Landschaftsmalerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die meisten ihrer Landschaften sind vom Hochgebirge inspiriert, und ihre Atmosphäre vermittelt einen Eindruck von der Härte der alpinen Regionen. Die Erhabenheit der Gipfel geht einher mit dem Gefühl der Bedrohung durch eine Natur, die sich der Kontrolle des Menschen entzieht.
Die felsigen Gipfel der Schweizer Alpen und die sanfteren der französischen Voralpen werden zu bevorzugten Motiven in Hodlers späterer Landschaftsmalerei.
Ferdinand Hodler
Les Petits-Lacs
Um 1878
Hodler malte dieses Werk zwischen dem Abschluss seines Studiums und seiner Reise nach Spanien, wo er die notwendigen Erfahrungen sammelte, um als vollwertiger Künstler anerkannt zu werden.
Dieses Landschaftsgemälde zeugt von seiner frühen Auseinandersetzung mit der Symmetrie, einem der Grundpfeiler seiner ästhetischen Theorie, die unter dem Namen «Parallelismus» bekannt wurde. Zwei weitere wichtige Elemente sind die Vereinfachung und die Wiederholung von Formen und Farben.
Im Vordergrund ist ein Junge beim Angeln zu sehen. Obwohl die Figur noch nicht ganz verschwunden ist, ist sie hier nur noch Staffage, eine Nebenerscheinung gegenüber der zentralen Position der Pappeln und ihrer Spiegelung im Teich.
Ferdinand Hodler
Alpenlandschaft (Das Stockhorn)
1882/1883
Mit diesem Gemälde gewann Hodler 1883 den ersten Preis beim vierten Concours Calame in Genf. Der Wettbewerb war abwechselnd zwei Gattungen gewidmet: der Landschaftsmalerei und der Figurenmalerei. Die allgemeine Aufgabenstellung von 1883 lautete: «Darstellung einer Alpenlandschaft».
Hodler wählt die Stockhornkette mit ihren noch schneebedeckten Gipfeln im Frühling.
Es ist das erste Mal, dass er sich mit diesem Sujet in der Gegend von Thun im Kanton Bern beschäftigt. Im Vordergrund sieht man das Schilfufer mit dem Amsoldingersee, in dem sich die Berge spiegeln. Der Mittelgrund mit Wiesen und dem dahinter liegenden Gipfel des Eggweidbergs führt den Blick zum eigentlichen Alpenmotiv, das die Komposition abschliesst. Das Schilf und die Felskanten bilden vertikale Linien im Bild, während die verschiedenen Geländestufen sowie die Nebelschleier und Wolken horizontale Linien ziehen.
Es ist sein erstes grossformatiges Gemälde einer Gebirgslandschaft, in dem bereits formale Ansätze erkennbar sind, die in den folgenden Landschaftsbildern zur Konstante werden.
Filippo Franzoni
Il Duomo di Milano
Der Mailänder Dom
1879–1880
Das Werk zeigt zwei Frauen und einen Mann auf dem Dach des Mailänder Doms, die von dort oben den Blick über die Stadt geniessen. Die ockergelben Töne der Architektur heben sich vom intensiven Blau des Himmels ab und verleihen dem Ganzen eine besondere Leuchtkraft. Das Gemälde gehört zu den ersten Versuchen Franzonis und entstand noch während seines Studiums an der Mailänder Akademie, die er von 1876 bis 1884 besuchte.
Der prominente Platz, der dem Gebäude gewidmet ist, weist das Werk der perspektivischen Architekturmalerei zu, die Gegenstand eines akademischen Kurses war, während die drei posierenden Figuren es in den Bereich der Genremalerei rücken.
Filippo Franzoni
La Processione
Die Prozession
1880–1881
Anlass für die Entstehung des Gemäldes war die Prozession am 14. August 1880 zur Feier des 400. Jahrestages der Erscheinung der Jungfrau Maria vor dem Franziskanerbruder Bartolomeo aus Ivrea – ein wundersames Ereignis, das zur Gründung der Wallfahrtskirche Madonna del Sasso in Orselina geführt hat. Auch dieses Werk entstand während der Studienjahre Franzonis an der Akademie in Mailand.
Das Gemälde zeigt die Prozession, die sich von der Wallfahrtskirche im oberen Teil des Bildes entlang der Kapellen der Via Crucis hinunter nach Locarno bewegt. Im Vordergrund rechts sieht man eine Gruppe von Frauen und Mädchen, die die Prozession am Wegesrand beobachten. Ihre Kleider heben sich von der festlichen Kleidung der Prozessionsteilnehmer ab. Auch die stolze, fast herausfordernde Haltung der jungen Frau, die an die Wäscherinnen von Emilio Gola erinnert, weist auf die unterschiedliche soziale und religiöse Zugehörigkeit der beiden Gruppen hin.
Filippo Franzoni
Tombe romane a Concordia
Römische Gräber in Concordia
Um 1887
Das Motiv dieses Gemäldes entdeckte Franzoni bei einem Besuch in Portogruaro während einer Reise nach Venedig im Jahr 1887, als er an der Nationalen Kunstausstellung in der Lagunenstadt teilnahm.
Es handelt sich um die archäologische Ausgrabungsstätte Sepolcreto dei militi, die 1873 entdeckt und bis 1876 ausgegraben wurde. Sie ist der Ursprung eines der ältesten archäologischen Museen Italiens, das 1888 in Portogruaro eröffnet wurde.
Franzoni hat die Ansicht, die er malte, wahrscheinlich nicht persönlich gesehen, sondern sich auf zeitgenössische Fotografien gestützt.
Das im Gegenlicht aufgenommene Motiv ist durch eine Komposition mit ausgeprägten horizontalen Streifen gekennzeichnet. Auf die Blumenwiese im Vordergrund folgen weitere Schichten: die Wasserfläche, aus der eine Reihe von Gräbern ragt, eine mit Gras bewachsene Fläche, eine Häusergruppe und darüber ein weiter, wolkenverhangener Himmel, der sich im Wasser spiegelt und dem Ganzen eine romantische Atmosphäre verleiht.
2
Die Porträtmalerei
Auch wenn er heute vor allem als Landschaftsmaler gefeiert wird, ist Hodlers künstlerisches Schaffen vor allem auf die Figur konzentriert. Auch die Porträtmalerei, ob als Auftragsarbeit oder frei, nimmt einen zentralen Platz in seinem Schaffen ein. Franzoni hingegen wendet sich nach den frühen 1890er Jahren von dieser Gattung ab, in der er sich zuvor mit einigen Arbeiten auf höchstem Niveau hervorgetan hatte.
Ferdinand Hodler
Bildnis einer Unbekannten (Die Genesende)
Um 1885
Hodler stellt eine junge Frau dar, deren leidender Gesichtsausdruck und matte Haltung auf einen noch kritischen Gesundheitszustand hindeuten.
Der Künstler verzichtet auf Details und gliedert die Komposition in eine Abfolge von Ebenen und verschiedenen, einheitlich gemalten Farbflächen. Den Hintergrund bilden zwei monochrome Felder, das rosafarbene Tuch über dem Bett und die hellbraune Wandfläche. Im Vordergrund fällt der Blick auf den roten Schal, der die Schultern der jungen Frau umhüllt. Das Gesicht ist durch einen Hauch von Licht modelliert, die Konturen sind mit einer feinen dunklen Linie umrissen.
Hodler datierte das Gemälde später auf 1879, doch stilistische Eigenheiten und Gemeinsamkeiten mit anderen Porträts lassen eher auf eine Entstehungszeit um die Mitte der 1880er Jahre schliessen.
Ferdinand Hodler
Selbstbildnis
1892
Dies ist eines der zahlreichen Selbstporträts, die Hodler im Laufe seiner Laufbahn schuf.
Es stammt aus dem Jahr 1892, als er sich auch international durchsetzte und erneut erfolgreich in Paris ausstellte, diesmal im ersten Salon de la Rose+Croix und im Salon du Champ-de-Mars. Er zeigt sich als zufriedener Mann, stolz auf seine Auszeichnungen, entspannt und zuversichtlich in die Zukunft blickend.
Ferdinand Hodler
Bildnis Louise Jacques (?) (Mädchen mit Mohnblume)
Um 1892
Für dieses Porträt sass dem Maler vermutlich Louise Jacques Modell; sie kommt auch in einigen anderen grossformatigen Kompositionen vor. Die Darstellung einer am Tisch sitzenden Frau, die liest oder eine Blume in der Hand hält, taucht in den Werken dieser Jahre häufig auf.
Für dieses Bild wählte er eine Frontalansicht und liess das Licht leicht schräg von links oben einfallen. Die Hände, die im Vordergrund das Glas mit der Mohnblume halten, sind zu einem Halbkreis gefaltet. Das leuchtende Rot der Blüte hebt sich von dem schwarzen Kleid ab. Die perfekte Symmetrie wird nur durch die leichte Neigung des Gesichts gestört.
Das Spiel zwischen den Elementen im Schatten und denen im Licht, der Gesichtsausdruck sowie die knappen Linien, mit denen der Körper und das Kleid der jungen Frau gezeichnet sind, machen dieses Porträt zu einem der kunstvollsten und gelungensten Bildnisse Hodlers.
Filippo Franzoni
Punta di Burbaglio
Um 1886
Auf dem Gemälde erkennt man die Bucht von Muralto, die Landzunge von Burbaglio und im Hintergrund die schneebedeckten Berge, aus denen sich die Silhouette des Monte Camoghè erhebt.
Das Bild lässt sich ziemlich genau datieren, unter anderem dank des fehlenden Schornsteins der Spinnerei Bacilieri, die zwischen Ende 1885 und Anfang 1886 abgerissen wurde.
Franzonis Komposition wird durch die elliptische Form des Hafens, die markanten Diagonalen und die klaren horizontalen Linien gegliedert, die von den Berührungslinien von Wasserfläche mit dem Berghang und der Gipfel mit dem Himmel gebildet werden.
Das Werk zeigt ein frühes Interesse an der Vereinfachung von Formen und Farben und lässt den Verzicht auf Details erkennen, der für viele seiner Gemälde charakteristisch ist.
Filippo Franzoni
Ritratto della madrre
Porträt der Mutter
1891
Als Franzoni am Porträt seiner Mutter arbeitete, befand er sich an einem entscheidenden Punkt seiner Karriere und seines künstlerischen Schaffens.
Im Jahr 1890 hatte er zum ersten Mal an einer Ausstellung in der Schweiz teilgenommen und war bei dieser Gelegenheit erstmals mit dem Schaffen seiner Kollegen jenseits der Alpen in Berührung gekommen (und umgekehrt).
Mit diesem Porträt erreichte er einen Höhepunkt in seinem Streben nach Vereinfachung und formaler Synthese. Das Werk zeigt auch, dass ihm die Technik des flächigen Farbauftrags in klar abgegrenzten Bereichen, wie sie die Nabis verwendeten, bekannt war.
Das Gemälde zeigt eine Abfolge verschiedener Ebenen, beginnend mit dem weissen Zeitungsblatt im Vordergrund, das wie ein Riss in der Leinwand wirkt. Es folgt die vom Blau des Kleides dominierte Ebene und im Hintergrund die Ebene mit den verschiedenen Gegenständen auf dem Kaminsims.
Auch hier ist die Gesamtwirkung wichtiger als die Detailtreue. Das Porträt basiert auf einem Foto, das der Künstler von seiner Mutter gemacht hat, die ihm einige Jahre zuvor seine erste Kamera geschenkt hatte.
Filippo Franzoni
Autoritratto
Selbstporträt
[Um 1900–1903]
Filippo Franzoni
Autoritratto
Selbstporträt
[Um 1903–1905]
Franzonis Werk umfasst einige Selbstporträts. Die beiden in der Ausstellung gezeigten Werke zeichnen sich durch ihre Expressivität und ihren introspektiven Ansatz aus.
In beiden Fällen verraten die Augen den Gemütszustand des Künstlers und lassen Unruhe und Angst erkennen.
Die leicht schräge oder ganz frontale Haltung des Gesichts sind klassische Muster der malerischen Tradition des Selbstporträts.
Der kräftige, manchmal pastose Pinselstrich oder die vom Hintergrund verschluckte Figur – Elemente, die bereits in Ritratto di giovane con la mantilla (Bildnis eines jungen Mädchens mit der Mantilla) zu finden sind – erinnern an die Porträtmalerei der lombardischen Bewegung «La Scapigliatura», mit der Franzoni während seiner Mailänder Jahre in Kontakt
3
Zwischen Himmel und Erde
Der Baum als verbindendes Element zwischen der Erde und dem Himmel findet sich sowohl in Hodlers wie in Franzonis Werk. Auch die paradigmatische Präsenz des Weges, der den Blick zum Zentrum der Darstellung lenkt, sowie die hohe Horizontlinie sind kompositorische Lösungen, die beide Maler anwenden.
Ferdinand Hodler
Sommerlandschaft bei Interlaken
Um 1888
Diese Landschaft von besonderer Leuchtkraft zeigt im Hintergrund die auch im Sommer schneebedeckten Gipfel von Mönch und Jungfrau. Die beiden Berge, die auch dank Hodlers malerischer Interpretation zum Mythos geworden sind, werden teilweise vom Rücken des Änderbergs verdeckt, auf den seit 1893 eine der berühmtesten Bergbahnen der Welt führt: die Schynige-Platte-Bahn. Hodler war besonders fasziniert von diesen modernen Transportmitteln, die es dem Menschen ermöglichten, in grosse Höhen zu gelangen und ihm neue Perspektiven auf die Bergwelt eröffneten.
Ferdinand Hodler
Kleine Platane
Um 1891
Es gibt zahlreiche Werke, in denen ein einsamer Baum als Bindeglied zwischen den Elementen Erde und Himmel eine eindeutige Hauptrolle spielt. Hodler behandelt ihn hier wie eine Figur und stellt ihn ins Zentrum einer sowohl vertikal als auch horizontal symmetrischen Komposition. «Ich habe das Porträt eines Baumes gemalt», erklärt er. Seiner Meinung nach hat jeder Gemütszustand seine eigene Gestik, und die äussere Erscheinung einer Figur muss ihren inneren Zustand widerspiegeln. Analog dazu bietet die Darstellung eines Elements der Natur (hier ein Baum) die Möglichkeit, seine Ausdruckskraft zu zeigen: Freude, Trauer, Melancholie, Kraft oder Schwäche werden zu Gefühlen, die mittels seiner Haltung oder seiner Entfaltung in der Landschaft wiedergegeben werden.
Ferdinand Hodler
Die Strasse nach Evordes
Um 1890
Nach Hodlers malerischem Konzept sollten die Emotionen, die man beim Betrachten eines Landschaftsbildes empfindet, allein durch die Wahl der Farben und Linien der Komposition hervorgerufen werden. Die menschliche Figur, in den frühen Gemälden noch präsent, ist hier gänzlich verschwunden.
Der Künstler versucht, die der Natur innewohnende Ordnung durch Stilmittel wie Wiederholung und Symmetrie wiederzugeben. Diese Elemente finden sich auch in Die Strasse nach Evordes und werden in den folgenden Jahren noch stärker betont. Die gesamte Komposition wird durch die Strasse strukturiert, die sie in zwei Hälften teilt und den Blick in die Tiefe der Landschaft begleitet. Die Baumreihen auf beiden Seiten und die Abfolge der Stämme verstärken die Wahrnehmung des Ganzen als symmetrische Struktur. Diese Strenge resultiert aus dem Bestreben, die Beziehung zu den beobachteten natürlichen Gegebenheiten zu objektivieren und verleiht der Landschaft eine «über-natürliche» Dimension.
Filippo Franzoni
Bosco dell’Isolino – Autunno
Wald des Isolino – Herbst
Um 1888–1891
Der Baum ist ein wiederkehrendes Motiv in Franzonis Landschaftsbildern. Je spärlicher seine Präsenz, desto grösser sein symbolischer Wert. Die hellen Baumkronen, die sich hier gegen den Himmel abheben, lassen die Lebenskraft der Stämme im Gegenlicht noch deutlicher hervortreten. Sie scheinen hier die Gestalt geschmeidiger, tanzender Figuren anzunehmen.
Der Farbauftrag in den beiden fast monochromen Teilen der oberen Bildhälfte bildet einen Kontrapunkt zu den kleinen, unruhigen Flecken im Vordergrund. Franzoni war nicht nur Maler, sondern auch ein begabter Cellist; die malerischen Schwingungen seiner Landschaften scheinen der Natur eine musikalische Dimension zu verleihen.
Filippo Franzoni
Lodano, Valle Maggia, a sera
Lodano, Maggiatal, am Abend
Um 1897
Das Werk zeigt die Zufahrtsstrasse zum Dorf Lodano im Maggiatal. Dem Gemälde ging eine Serie von Fotografien voraus, aus denen Franzoni den Bildausschnitt wählte. Die Strasse lenkt den Blick auf den Ortskern mit den Häusern und der Kirche. Die quadratischen Öffnungen der Gebäude erzeugen ein geometrisches Spiel, das die Komposition rhythmisiert. Die im Vordergrund sichtbaren Bäuerinnen bei der Feldarbeit verschwinden fast in der Weite der Landschaft.
Es handelt sich um eines der wenigen grossformatigen Gemälde des Künstlers, das er vor allem im Hinblick auf eine öffentliche Ausstellung schuf. Zum ersten Mal zeigt er es 1897 in der Ausstellung der Permanente in Mailand und zum letzten Mal 1905 auf der Internationalen Kunstausstellung in München. Bei dieser Gelegenheit wird es von der Fondazione Antonio Caccia in Lugano erworben und gelangt so in die Sammlung des ersten Kunstmuseums des Kantons Tessin.
4
Spiegelungen
Die Landschaften beider Maler weisen häufig Elemente auf, die sich auf einer Wasseroberfläche spiegeln. Hodler vervielfacht mit diesem Mittel die gleichen Formen und betont so die symmetrische Anordnung der Landschaft. Franzoni seinerseits erzielt damit eine Vereinfachung der Elemente, indem er sie häufig auf einfache Farbflecken reduziert. Dadurch verleiht er der Komposition eine synthetische Note.
Ferdinand Hodler
Am Ufer der Maggia am Abend
1893
Vom 15. bis 28. Februar 1893 hielt sich Hodler im Tessin auf, wo er mindestens sechs Landschaftsbilder vom Lago Maggiore und der Umgebung von Locarno sowie eines vom Luganersee malte. Der Grund für den Aufenthalt südlich der Alpen ist nicht dokumentiert, aber es ist mittlerweile sicher, dass Hodler und Franzoni während dieser zwei Wochen Kontakt hatten und der Tessiner den Gast an seine Lieblingsplätze zum Malen begleitete.
In Am Ufer der Maggia am Abend greift Hodler auf das Sujet der offenen Landschaft zurück. Sie wird durch eine Abfolge von Flächen gegliedert, die vom Ufer zum Himmel aufsteigen. Die Uferkante im Vordergrund ist nur angedeutet und nimmt die späteren Landschaftsbilder Hodlers mit elliptischer Komposition vorweg, unter denen die meisterhaften Ansichten des Genfersees von Chexbres aus hervorstechen.
Hodler hält hier die Landschaft bei Sonnenuntergang fest. Im Abendlicht spiegeln sich die Berge – etwa die Pyramidenform des Monte Borgna – und die Steine auf der Wasseroberfläche, wodurch ein Spiel von sich wiederholenden Formen in der oberen und unteren Bildhälfte entsteht.
Diese Art des Bildausschnitts wirkt wie ein Standbild einer vorbeiziehenden Landschaft, zum Beispiel durch das Fenster eines Zuges, eines Verkehrsmittels, das Hodler häufig benutzte, um in der Natur zu malen.
Ferdinand Hodler
Landschaft im Tessin
1893
Auch dieses Landschaftsbild entstand im Februar 1893 während Hodlers Aufenthalt in Locarno.
Von Solduno aus blickt der Maler nach Südwesten. Hinter den noch schneebedeckten Gipfeln des Monte Ghiridone im Hintergrund zieht eine Wolkenwand auf, über der sich ein Band blauen Himmels zeigt. Im Vordergrund begleiten die Spuren eines Weges den Blick über eine karge, noch vom Winter gezeichnete Landschaft. Dieser Tiefenbewegung steht eine Komposition aus verschiedenen, übereinander geschichteten Landschaftselementen gegenüber: Wiesen, Hügel, Felsen, Wolken und Himmel.
Diese Art von Landschaft mit einem sich verjüngenden Weg, der an einem Berghang endet, taucht in Hodlers Malerei immer wieder auf.
Ferdinand Hodler
Der Buchenwald (Le Bois de Châtelaine)
1885, überarbeitet 1890 und um 1894
Mit diesem Bild nimmt Hodler 1885 erfolglos am fünften Concours Calame in Genf teil. Das Thema dieses Wettbewerbs lautete: «Ein Waldesinneres, Unterholz, Morgenstimmung aufgrund des Sonnenstands und eine Gruppe von Holzfällern mit vier Figuren».
Die Jury kritisierte die Arbeit vor allem deshalb, weil ihrer Meinung nach die Einheit der Darstellung durch die fehlende Hierarchie zwischen den einzelnen Elementen beeinträchtigt wurde. Doch gerade die Vereinfachung und Wiederholung von Formen und Farben in nicht hierarchischer Anordnung begründet die von Hodler angestrebte kompositorische Einheit, die in der Folge zahlreichen Schweizer Künstlern als malerisches Vorbild diente. Das Werk gilt heute als Programmbild für sein Kompositionsprinzip des «Parallelismus».
Hodler überarbeitete das Gemälde im Laufe der Jahre mehrmals, übermalte drei der vier Holzfäller und fügte einige nur angedeutete Figuren hinzu, die inmitten der Vegetation kaum zu erkennen sind.
Ferdinand Hodler
Genfersee am Abend von Chexbres aus
1895
Mit diesem Werk gewinnt Hodler 1895 ex aequo mit Delta della Maggia (Maggia-Delta) von Filippo Franzoni den zweiten Preis am 10. Concours Calame in Genf. Das Thema dieses Wettbewerbs lautete: «Eine Landschaft, die einen Schweizer See darstellt, mit einer Kiesbank, Felsen, einem Stück Land, Mauern, Gebäuden usw. im Vordergrund, nach Wahl der Wettbewerbsteilnehmer».
Es ist die erste Version des Genfersees von Chexbres aus und das erste Landschaftsbild mit einer elliptischen Komposition, auf die er zehn Jahre später in zahlreichen Varianten zurückgreifen wird. Der Ausschnitt zwischen Montreux und Lausanne mit der Bucht von Cully und den Savoyer Alpen im Hintergrund gehört zu Hodlers bevorzugten Genferseeansichten.
Die Dächer der Häuser, die am unteren Rand der Landschaft vage zu erkennen sind, lassen den steil zum Seeufer abfallenden Hang erahnen. Die kahlen Äste, die in die Höhe ragen, verleihen den Bäumen eine Ähnlichkeit mit bizarren Figuren. Die gerade untergegangene Sonne färbt den Himmel in Rosa- und Ockertönen, die sich auf der weiten Wasserfläche spiegeln.
Zu den Vorläufern dieses Landschaftstyps gehört zweifellos das Gemälde Am Ufer der Maggia am Abend, das Hodler 1893 während seines Aufenthalts in Locarno malte.
Filippo Franzoni
Saleggi di Isolino
[Um 1891–1894]
Eines von Franzonis Lieblingsmotiven ist die Landschaft von Saleggi di Isolino bei Locarno, die er hier an einem kalten Wintertag festgehalten hat. Die winterliche Kargheit der Natur wird durch eine Gruppe kahler Bäume noch verstärkt. Nur das schäumende Wasser des Flusses Maggia, der sich in den Lago Maggiore ergiesst, durchbricht die Stille und Bewegungslosigkeit dieser Szene. Die Uferlinien des Sees bilden eine markante doppelte Diagonale in der Komposition.
Es handelt sich um eines der erstaunlichsten Landschaftsbilder, was den Grad der formalen Synthese und die Vereinfachung der Farbpalette betrifft, und ist in dieser Hinsicht nur mit dem Ritratto della madre (Porträt der Mutter) vergleichbar.
Anlässlich der Nationalen Kunstausstellug der Schweiz von 1894 in Bern, wo das Bild gezeigt wurde, schrieb der Kritiker der Zeitung «Der Bund»:
«Wenig Verständnis findet die Winterlandschaft […] von Filippo Franzoni, weil man bei uns von Landschaften südlich der Alpen vor allem glühendes Kolorit erwartet. Da hat nun der unerbittlich wahre Maler solchem Verlangen auch nicht das kleinste Zugeständnis gemacht. Sein Gemälde scheint mit kaum drei Farben gemalt zu sein, ein grauer Ton herrscht vor und auf jeden bestechenden Reiz ist mit einer Strenge, einer Herbigkeit verzichtet, die den Beschauer befremdet und viele Personen abschreckt, so dass sie sich nicht die Mühe nehmen, das Bild genauer zu prüfen. Wer aber sich diese Mühe nimmt und auch die richtige Entfernung von dem Gemälde einhält, für den gewinnt die Landschaft zusehends. Namentlich ist das Blinken der in den See mündenden Maggia gut gegeben; ein fröstelndes, graues Winterbild bleibt das Gemälde freilich. Aber will es denn etwas Anderes sein? Franzoni gehört offenbar zu denjenigen Künstlern, die vor allem ihrem eigenen künstlerischen Gewissen zuliebe leben und malen müssen, unbekümmert um das Urteil des Publikums. Vor diesen Leuten tut man gut, Respekt zu haben, auch wenn sie ins Bizarre verfallen wie z. B. Ferdinand Hodler (Bern-Genf) mit seiner magern, langen Rosskastanienallee im Sonnenuntergang. Mir gefällt sie nicht, aber mir gefällt der Querkopf, der so etwas unternimmt und seinen eigenen Weg geht. Diese Sorte Künstler ist es doch, die am ehesten neue Wege entdeckt».
Filippo Franzoni
Delta della Maggia
Maggia-Delta
Um 1895
Mit diesem Werk gewann Filippo Franzoni, ex aequo mit Ferdinand Hodlers Gemälde Genfersee am Abend von Chexbres aus, 1895 den zweiten Preis beim zehnten Concours Calame in Genf. Das Thema dieses Wettbewerbs, an dem sich alle Schweizer Künstlerinnen und Künstler beteiligen konnten, lautete: «Eine Landschaft, die einen Schweizer See darstellt, mit einer Kiesbank, Felsen, einem Stück Land, Mauern, Gebäuden usw. im Vordergrund, nach Wahl der Teilnehmer».
Franzoni hält sich eng an die Vorgaben: Er wählte eine Ansicht des Lago Maggiore, die den See vom Ufer aus in Richtung Bosco Isolino zeigt, und malte im Vordergrund zwei Boote mit einem Fischer und einige Steine am Ufer. Die Komposition wird von zarten Blau- und Türkistönen beherrscht, mit denen er sowohl den See als auch die Berge des Gambarogno auf der gegenüberliegenden Seeseite wiedergibt. Inmitten dieser weitläufigen Landschaft, in der sich Detailtreue und Gesamtwirkung die Waage halten, sieht man ein einsames Boot in den Hafen zurückkehren, während einige Kühe auf den Wiesen des Isolino grasen.
Mit diesem Gemälde sichert sich Franzoni endgültig die Aufmerksamkeit und den Respekt von Kritikern und Kollegen jenseits der Alpen; er stellt es auf den wichtigsten Ausstellungen aus, darunter die Weltausstellung in Paris im Jahr 1900, bevor es im folgenden Jahr von der Schweizerischen Eidgenossenschaft erworben wird.
Filippo Franzoni
L’Isolino con bambine
Isolino mit Mädchen
Um 1900
Franzoni stellt seine Nichten im Isolino dar, wie sie sich an den Händen halten und im Schatten der Bäume spielen. Dieser Tag ist auch in einer Serie von Fotografien des Künstlers dokumentiert.
Die Mädchen sind nur zwei weisse Flecken. In der Komposition bilden die Bäume ein Muster aus vertikalen Parallelen, zwischen denen das Blau des Sees durchscheint. Ein diagonal geneigter Baumstamm im Vordergrund durchbricht den linearen Rhythmus.
Der eher sparsame Farbauftrag, die kleinen, mit der Pinselspitze gemalten Flecken, das Nebeneinander von Gelb- und Grüntönen sowie die weiss belassenen Lücken zwischen den Blättern verleihen dieser Naturansicht eine helle, lichtdurchflutete Atmosphäre.
5
Monumentalität/Introspektion
Hodler baut seine internationale Karriere auf, indem er dem Publikum grossformatige Kompositionen mit Figuren symbolistischer Prägung präsentiert: Es sind vor allem solche Gemälde, die er bei grossen Gruppenausstellungen zeigt. Er setzt darin seine Theorie des «Parallelismus» um, die auf der Wiederholung von Formen und auf der Symmetrie beruht. In diesen Werken zeigt sich sein Streben nach Monumentalität, das auch in der Landschaftsmalerei zum Ausdruck kommt. Bei Franzoni bleibt die Figur der Landschaft immer klar untergeordnet, auch wenn er sie nie ganz aufgegeben hat. In den letzten Werken des Malers aus Locarno vermischen sich die Farben, und die Figur wird eins mit der Natur: Alles scheint in einem wirren Wirbel von Linien und Farben zu verschmelzen und sich aufzulösen. Die subjektive Dimension ist wichtiger als das Streben nach Objektivierung der Beziehung zur realen Gegebenheit, wie das bei Hodler der Fall ist.
Ferdinand Hodler
Anbetung
1894
In diesem Gemälde richtet Hodler seine Aufmerksamkeit auf den knienden Knaben, der im Zentrum einer seiner grossen Figurenkompositionen mit dem Titel Der Auserwählte steht. Das Modell ist sein Sohn Hector, der 1887 aus seiner Beziehung mit Augustine Dupin hervorging.
In der grossen Komposition kniet der Knabe vor einer kleinen Pflanze, das Gesicht nach oben gerichtet, umgeben von sechs geflügelten weiblichen Figuren, die in der Luft schweben. Hier fehlt der narrative und symbolische Rahmen, alles konzentriert sich auf die Geste und die Gebetshaltung des Kindes. Es ist eines der Gemälde, die den Theorien der Rosenkreuzer, an deren Pariser Salon Hodler 1891 ausgestellt hatte, am nächsten kommen.
Anbetung ist auch das erste Gemälde Hodlers, das der Solothurner Kunstsammler Oscar Miller erwarb, der Ende des 19. Jahrhunderts zu den Pionieren des Sammelns moderner Schweizer Kunst gehörte. In seiner Sammlung befanden sich auch zwei Werke von Franzoni. Eines davon zeigt einen Regenbogen. Es handelt sich höchstwahrscheinlich um eine verkleinerte Kopie der ersten Version von Dopo il temporale (Nach dem Gewitter), die Franzoni übermalte und die sich heute unter dem gleichnamigen Werk in diesem Saal befindet.
Ferdinand Hodler
Die Empfindung
Um 1909
Vier Figuren, jede mit eigener Gestik und Körperhaltung, bewegen sich mit leichter, tänzerischer Bewegung durch eine nur angedeutete Landschaft, die mit einigen roten Blumengruppen übersät ist. Die erste Fassung desselben Sujets stammt aus der Zeit um 1905 und ist weit entfernt von jeder realistischen Absicht: Durch die starke Stilisierung betont der Künstler den dekorativen Charakter des Gemäldes.
In Hodlers Werk finden sich zahlreiche Darstellungen von weiblichen Figuren in Bewegung, die einzeln oder in Gruppen dargestellt sind.
Die Auseinandersetzung mit der malerischen Umsetzung von Bewegung und Rhythmus zeigt sein Interesse an der von Émile Jaques-Dalcroze entwickelten Theorie der Rhythmik, insbesondere an der Vermittlung von Musikwahrnehmung durch Bewegung. Der freie Ausdruckstanz, der sich in den Jahren nach 1910 entwickelte, verdankt Dalcroze viel. Er wurde auch auf dem Monte Verità oberhalb von Ascona praktiziert, wo Rudolf von Laban 1913 eines der weltweit führenden Zentren für Bewegungskunst gründete.
Ferdinand Hodler
Genfersee mit Savoyer Alpen
Um 1906
Ferdinand Hodler
Genfersee mit Savoyer Alpen
1911
Hodler stellt den Genfersee mit den Savoyer Alpen im Hintergrund von zwei verschiedenen Standpunkten aus dar, der eine erhöht, der andere am Wasser. Das Hochformat betont die Tiefenwirkung des Bildes. In diesem Bild lässt der Kontrast zwischen den im Licht und den im Schatten liegenden Berghängen die Gipfel besonders plastisch erscheinen. Ein leichter Nebel verwischt die Grenze zwischen Wasser und Land. Im zweiten Fall verstärkt das Querformat den offenen Charakter der Landschaft. Obwohl nur angedeutet, sind die Berge, die die Kette bilden, an ihrer Form erkennbar: links Dent d’Oche, gefolgt von Mont Ouzon, Pointe de Tréchauffé und Mont Billiat.
Ferdinand Hodler
Der Niesen von Heustrich aus
1910
Die markante Pyramidenform des Niesens faszinierte Hodler seit Mitte der 1870er Jahre. In seinen Landschaftsbildern der ersten Jahre des 20. Jahrhunderts wird die Form des Berges zum Ausgangspunkt für Kompositionen mit vereinfachenden Linien und Symmetrien in der Vertikalen wie in der Horizontalen, die durch Reflexionen im Thunersee entstehen.
In diesem Bild steht die massive Figur des Berges im Zentrum einer barocken, wirbelförmigen Wolkenformation, die eine dekorative Komponente in die Komposition einbringt. Auch das Streben nach Monumentalisierung und objektiver Rekonstruktion der Natur, das mit der zunehmenden Abstraktion der Landschaftsdarstellungen nach 1910 zusammenfällt, kommt hier zum Ausdruck.
Filippo Franzoni
Narciso
Narziss
[Um 1903–1905]
Der Titel des Werkes verrät das Motiv: Narziss steht am Ufer eines Teiches und betrachtet sein Spiegelbild im Wasser. Franzoni überträgt diese Szene aus der Mythologie in seine eigene Umgebung und siedelt sie in einer der vielen kleinen Lichtungen mit Wasserflächen an, die das Gebiet des Maggia-Deltas charakterisieren.
Die Baumstämme und die Figur des Jünglings bestimmen den Rhythmus der Komposition. Die betonte Wiederholung der vertikalen Linien lässt den Charakter der einzelnen Elemente zurücktreten, so dass sich die Figur plötzlich dem Auge entzieht und zum Stamm, zum Baum wird.
In einer Atmosphäre intimer Verbundenheit mit der Natur verschmilzt Narziss mit ihr, wird eins mit ihr, im Bewusstsein, nur ein winziger Teil eines unendlich grösseren Ganzen zu sein.
Filippo Franzoni
Apparizioni – Saleggi con figure danzanti
Erscheinungen – Saleggi mit tanzenden Figuren
[Um 1905–1908]
Das Gemälde wird von Figuren bevölkert, die teils sitzen, teils im Gras liegen oder im Wald tanzen. Die Atmosphäre wirkt lebendig und emotional verdichtet, ein Eindruck, der durch den dynamischen, pastosen Farbauftrag noch verstärkt wird.
Die um die Wasserfläche tanzenden Figuren kontrastieren mit der dunklen, stummen, bewegungslosen Figur im Vordergrund.
Franzoni gehörte zu den wenigen Tessinern, die Kontakt zur Kolonie auf dem Monte Verità oberhalb von Ascona hatten. Dort hielt er sich 1904 einige Wochen zu einer vegetarischen Kur auf.
Die Figuren in seinen Landschaftsbildern, die sich an den Händen halten und im Kreis tanzen, erinnern an den Kreis im eurythmischen Tanz, der auf dem ursprünglich «Monescia» genannten Hügel praktiziert wurde, wo sich die Kolonie niedergelassen hatte.
Filippo Franzoni
Dopo il temporale
Nach dem Gewitter
[Um 1898–1900]
Die heute bekannte Fassung des Gemäldes Nach dem Gewitter wurde über einer ersten, 1898 ausgestellten Fassung gemalt. Sie wurde durch eine Röntgenaufnahme entdeckt und ist auch durch eine Schwarz-Weiss-Fotografie aus dieser Zeit dokumentiert.
Ob es sich dabei um den Zustand des Gemäldes handelt, das 1900 auf der Weltausstellung in Paris gezeigt wurde, oder ob der Künstler das Werk später überarbeitet hat, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.
Jedenfalls nimmt es im Gesamtwerk Franzonis eine Sonderstellung ein: Es ist das einzige grossformatige Gemälde, in dem sich der Künstler Freiheiten in der malerischen Darstellung erlaubt, die sonst viel kleineren Formaten vorbehalten sind.
Die nach einem Gewitter festgehaltene Seelandschaft ist geprägt von einem Farb- und Formenwirbel, der die Deutung des Motivs erschwert: Alles ist verdichtet, vermengt, und scheint um eine Art schwarzes Loch in der Bildmitte zu kreisen, in dem die Materie unaufhaltsam zu verschwinden droht.